Spät lieben gelernt

Häufig lebt eine Lektüre ja davon, dass wir erst am Schluss erfahren, wie die Sache ausgeht. In Erica Fischers Lebensgeschichte „Spät lieben gelernt“ verhält sich die Sache anders: Zu wissen, dass am Ende (ihres Lebens) die Liebe steht, trägt uns durch die Kapitel und macht das Buch, nun ja, erträglicher. Erträglicher nicht etwa, weil es schlecht geschrieben wäre – das ist es mit seinen präzisen, ganz und gar unverschnörkelten und so gar nicht beschönigenden Beschreibungen mitnichten (wir haben es hier immerhin mit der Autorin von „Aimée & Jaguar“ zu tun, jenem Buch, das zum Weltbestseller und Kinofilm wurde). Erträglicher deswegen, weil es entlastend ist, von Anfang an zu wissen, dass der Mangel an Geborgenheit und Liebe, der Erica Fischer vor allem in den ersten Jahren ihres Lebens widerfährt, zu besagtem versöhnlichen Ende finden wird, während ihre Lebensgeschichte von multipler Entwurzelung und tiefem Schmerz erzählt, die ihrerseits eingebettet sind in die größere Geschichte von Vernichtung und Krieg. 

 

Erica Fischer, geboren 1943 im englischen Exil (ihre Mutter ist Jüdin), wächst in Wien auf und erlebt bemühte, aber von eigenen Nöten gezeichnete Eltern und Familienmitglieder. Sie sucht nach Wurzeln, als sie sich mit ihrem Jüdisch-Sein auseinandersetzt, kämpft für Gerechtigkeit (und wohl auch Anerkennung), indem sie Mitbegründerin einer autonomen Frauenbewegung in Wien wird, hält sich als Journalistin über Wasser, indem sie über Missstände in der Welt schreibt und sucht nach Halt in Beziehungen, die zumeist mehr mit Liebschaft als mit Liebe zu tun haben.

 

Mit der Klarheit und Weisheit einer gereiften Frau reflektiert sie über diesen Weg des Suchens und Findens und stellt Verbindungen zu der Welt, wie sie heute ist, her. Das macht das Buch auf eindrucksvolle Weise zeitgemäß, ohne nach dem Zeitgeist zu schielen. Wir müssen Erica Fischers gesellschaftliche und politische Einordnungen nicht teilen, um ihr auf 224 Seiten folgen und daraus etwas für unser eigenes Leben mitnehmen zu können. Eine wertvolle Lektüre, die am Ende doch noch so etwas wie eine kleine Überraschung bereithält, weil Erica Fischer zu einem hoffnungsvollen Schlussresümee gelangt, das Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, gefallen dürfte. Ich wäre bekloppt, es an dieser Stelle zu verraten.

 

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Buchtitel: Spät lieben gelernt

Autorin: Erica Fischer

Verlag: Berlin Verlag

Preis: € 22,00

ISBN: 978-3-827-01472-6

Gelesen und empfohlen von: Anke Johannsen