Eine Inderin, die bereit ist, alles aufs Spiel zu setzen, um ihrer kleinen Tochter eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Eine junge Frau aus Sizilien, die das Familienunternehmen vor dem Untergang retten will. Eine kanadische Anwältin, die durch einen Schicksalsschlag den Boden unter den Füßen zu verlieren droht…
Die Autorin Laetitia Colombani verbindet in ihrem Roman die Schicksalsstränge dieser drei Frauen - Stück für Stück, gekonnt verwoben und dicht erzählt. Es bleibt der Eindruck, dass die Heldinnen, die sich niemals begegnen werden, mehr verbindet als ein schwarzer Zopf aus dicken Haarsträhnen: nämlich ihre Stärke, die Liebe zur Familie und der Wille, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen.
Buchtitel: Der Zopf
Autor: Laetitia
Verlag: S.Fischer
Preis: € 20,00
ISBN: 978-3-10-397351-8
Gelesen und empfohlen von: Simone Rapelius
Wie wäre es, wenn John Lennon vor Ihnen säße und Ihnen sein Leben erzählen würde? Von den verwickelten, trostlosen Anfängen bis zum Dasein eines Idols in einem nie dagewesenen Fankult, von den Freunden und Rivalen, von den Frauen in seinem Leben und der einen Liebe, von Drogen, Sex, Dummheit, Suche, Größenwahn und den Empfindungen für die eigenen Kinder?
David Foenkinos, der schon mit dem Buch über die Künstlerin Charlotte Salomon bewiesen hat, dass er ein respektvoller Biograph und gekonnter Autor von Lebensgeschichten ist, hat - angetrieben von seiner eigenen Bewunderung -jahrzehntelang leidenschaftlich zu John Lennon recherchiert. Absolut überzeugend gibt er uns bis zum Vorabend seiner Ermordung Einblick in die Gedanken und Empfindungen des 40 jährigen John Lennons. Dieser Roman besticht durch die Schilderung der Gedanken und Empfindungen Lennons, die sich beim Erinnern einstellen. Das wirkt nicht nur authentisch sondern verblüffend wahrhaftig in seiner tiefgründigen Ehrlichkeit.
Buchtitel: Lennon
Autor: David Foenkinos
Verlag: DVA
Preis: € 20,00
ISBN: 978-3-421-04799-1
Gelesen und empfohlen von: Elisabeth Evertz
…und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.
Über Augustinus (354-430), zuletzt Bischof von Hippo in Nordafrika gibt es seit seinem Tode vor knapp 1.600 Jahren eine kaum überschaubare Flut von Veröffentlichungen, weltweit. In Kenntnis dessen geht der Autor und Althistoriker Robin Lane Fox das überaus gelungene Wagnis ein, ein weiteres und zugleich bewusst längeres Buch zu schreiben. Dabei beschränkt er sich auf den Lebenszeitraum von Augustinus‘ Geburt bis zur Niederschrift (397) der „Confessiones“, dem Buch seiner Bekenntnisse in Form eines anhaltenden Gebets. Diese Schrift entstand etwa 10 Jahre nach seinem Aufenthalt in Mailand, dem Ort seiner abschließenden Wandlung und zwei Jahre nach seiner Bischofsweihe.
Eindrucksvoll entfaltet Robin Lane Fox dabei als glanzvoller Erzähler die Erinnerungen Augustinus bis zu dessen Alter von dreiundvierzig Jahren und untermauert diese detailreich: Augustinus, der als ursprünglich unwilliger Elementarschüler zum philosophisch interessierten und geistigen Hochflieger geriert. Augustinus lässt sich zuerst begeistern durch Vergils „Aeneis“ und Ciceros „Hortensius“ dann von der Lehre des „Mani“, zu der aber zunehmend auf Distanz geht, später intellektuell bekämpft. Er wendet sich den Schriften der Philosophen Platon und Plotin zu, die ihn zwar stark beeinflussen aber schlussendlich nicht die Fragen beantworten, die ihn zutiefst bewegen. In Mailand lernt er den Bischof Ambrosius kennen und lässt sich von dessen Predigten und allegorisierende Leseweise der „Schrift“ beeindrucken. Augustinus liest nun vorrangig aus der „Schrift“.
Nach verzweifeltem Suchen erlebt Augustinus dann in der sogenannten „Gartenszene“ die entscheidende Wandlung, sagt seinem obsessiven körperlichen Trieb ab, empfängt die Taufe durch Bischof Ambrosius. Es geht dabei aber nach dem Autor nicht um eine Bekehrung, sondern um die Abkehr von Sex und weltlichem Streben. Kurz vor der Heimreise in Ostia, stirbt seine Mutter Monnika, die ihm bis nach Mailand gefolgt war und bis hierher eine besondere Rolle in seinem Leben einnahm.
Ab 388 bleibt Augustinus bis zum Tod in Afrika, lebt zuerst mit einigen Freunden in asketischer Lebensweise, wird gegen seinen Willen 391 zum Priester geweiht und 395 zum Bischof. Hier enden die „Confessiones“ in ihrem biographischen Teil zum Ende des neunten Buches, somit im Kern auch die meisterliche Erzählung von Robin Lane Fox.
Er lässt sich, obwohl in seiner Einleitung explizit notiert, dass er Augustinus‘ Glauben nicht teilt, auch auf die nicht biographischen letzten vier Bücher der „Confessiones“ ein. Mit sympathisierendem Verstehen verfolgt der Autor die philosophischen und theologischen Gedankengänge und Schlussfolgerungen des Augustinus. Dazu gehört auch dessen demütiges Zurücknehmen, wann immer er an die Grenzen des eigenen Denkens stößt.
Zum Verständnis der historischen Verhältnisse im Römischen Reich und der Entwicklungswege eines Mannes wie Augustinus werden erhellende Vergleiche zu zwei anderen Persönlichkeiten, in etwa Zeitzeugen des Augustinus, sozusagen als Variationen zu Augustinus‘ Lebens geboten. Es sind dies der Heide Libanios aus dem nordsyrischen Antiochia und der Christ Synesios aus dem nordafrikanischen Kyrene; beide mit ähnlichen Ausbildungen wie Augustinus; beide nicht solche Geistesgrößen wie dieser. Dazu entwickelt der Autor auch zwei Exkurse über die Lehre der „Manichäer“, deren „Auditor“ Augustinus neun Jahre lang war und über die Philosophen Platon und vor allem Plotin, derer sich Augustinus auch zukünftig bedienen wird. Kenntnisreich und gut verständlich vermittelt Robin Lane Fox beides.
Robin Lane Fox erzählt phantasieanregend im besten Sinne diesen Augustinus und sein Leben, stellt sich dabei nicht über ihn, da er - und so betont er ausdrücklich - fasziniert ist von Augustinus, dessen Intelligenz und grandiose Wortgewandtheit. Darüber hinaus schätzt der Autor Augustinus‘ Schriften, insbesondere die „Confessiones“. Dies muss er nicht betonen. Uns, als Leser seines Buches lässt er an dieser, seiner Faszination partizipieren. Ein spannendes Buch eines wortgewandten und quellensicheren Historikers über eine Geistes- und Glaubensgröße in der Spätantike. Dieses in vielerlei Sinne zu verstehende „Geschichts-Buch“ ist erfreulich lesenswert, dabei gut verständlich, trotz wissenschaftlichem Fundament.
Buchtitel: Augustinus
Autor: Robin Lane Fox
Verlag: Klett-Cotta
Preis: € 38,00
ISBN: 978-3-608-98115-5
Gelesen und empfohlen von: Josef Simmes
Ein wunderbarer Sound, wunder volle Menschen – ein schrecklich beschwerliches Leben, voller Armut, Krankheit, Tod und Verderben. Jesmyn Ward (Jg. 1977) hat 2 Romane geschrieben und für beide den National Book Award zugesprochen bekommen – das hat es noch nie gegeben. Ihre Art zu schreiben ist mit der von James Baldwin vergleichbar.
Wir treffen Menschen, die sich in den Sumpfgebieten rund um New Orleans durchs Leben schlagen. Erzählt aus der Sicht des einfühlsamen 13 jährigen Jojo. Zum Weinen.
Buchtitel: Singt, ihr Lebenden und ihr Toten, singt
Autor: Jesmyn Ward
Verlag: Kunstmann
Preis: € 22,00
ISBN: 978-3-95614-224-6
Gelesen und empfohlen von: Elisabeth Evertz
Auch wenn man keine Lust hat, über die Entführung von Jan Philipp Reemtsma im Jahre 1996 zu lesen, liest man dieses Buch gerne und mit Gewinn. Der seinerzeit 13jährige Sohn Johannes hat in diesem Buch die 33 Tage der Entführung aus der Sicht des Jungen eingefangen. Es gibt viele Details an die er sich erinnert, was dieses Buch aber so lohnenswert macht, ist die Kunstfertigkeit. Wie Scheerer es schafft, die elend langsam verstreichende Zeit und die nie dagewesenen Gefühle im Text spürbar zu machen, das liest sich spannend, flüssig, zuweilen beklemmend aber tatsächlich mit viel Gefallen.
Buchtitel: Wir sind dann wohl die Angehörigen
Autor: Johannes Scheerer
Verlag: Piper
Preis: € 20,00
ISBN: 978-3-492-05909-1
Gelesen und empfohlen von: Elisabeth Evertz
Martha und Betty sind Freundinnen seit Jugendzeiten, sie haben sich bis Anfang 40 mehr schlecht als recht durchs Leben gekämpft. Als Marthas Vater sterbenskrank von seiner Tochter in die Schweiz gefahren werden möchte, kommt Betty mit an Bord. Zu dritt machen sie sich im alten VW-Golf von Marthas Vater auf den Weg.
Ein ungewöhnliches Roadmovie tut sich vor unseren Augen auf: der Vater recht unbedarft, die Frauen auf der Schneide des Sarkasmus aber der Zuneigung fähig.
Die mit Witz erzählte Handlung, gepaart mit den Gefühlen der Protagonistinnen, die natürlich auch ihre eigenen Leben resümieren ist faszinierend für diejenigen, die um die Anstrengung des Kopf-über-Wasser-Haltens wissen (für alle anderen auch).
Lucy Fricke, (Jg. 1974 aus Hamburg) hat einen unverwechselbaren Erzählton, der Höhen und Tiefen beherrscht, leicht daherkommt und doch Platz für eigen-sinnige, verblüffende Gedanken und Formulierungen hat. „Und die Frage ist nicht, woher wir kommen, sondern: Wie finden wir da wieder raus?“
Das ist ein Roman vom Kaliber „Lieblingsbuch des Jahres“!
Buchtitel: Töchter
Autor: Lucy Fricke
Verlag: Rowohlt
Preis: € 20,00
ISBN: 978-3-498-02007-1
Gelesen und empfohlen von: Elisabeth Evertz